„Wir reden heute nicht über …“ – mit dieser ironischen Eröffnung beginnt die neue Folge des Podcasts schöner glauben im Format new normal. Doch der Titel täuscht: Natürlich wird gesprochen, und zwar über das, worüber gerade viele schweigen (müssen oder wollen) – den Krieg im Nahen Osten, das israelisch-palästinensische Trauma, den Angriff auf Iran und die Sackgasse des öffentlichen Diskurses. Jason Liesendahl, Peer Asmussen und Benni Isaak-Kraus wagen einen offenen, differenzierten und teilweise schonungslos ehrlichen Austausch, der nicht nur informiert, sondern vor allem zum Weiterdenken einlädt.
„Wir meinen, wir reden über einen Konflikt … aber wir reden eigentlich über uns selber.“
Benni Isaak-Kraus, Pastor der Mennoniten in Frankfurt, bringt es früh auf den Punkt: Die deutsche Debatte über Israel und Palästina sei stark von „deutschen Befindlichkeiten“ geprägt. In Deutschland gehe es oft nicht um die Lage vor Ort, sondern um eigene Schuldgeschichte, eigene Angst vor Antisemitismus, um Absicherung der eigenen Haltung – auf Kosten echter Stimmen aus Israel oder Palästina: „Es leben ja auch viele Israelis in Deutschland, es leben auch viele palästinensische Flüchtlinge […]. Und die kommen sehr selten zu Wort.“
Die Hosts zeigen sich darin einig: Das Gespräch über den Nahostkonflikt in Deutschland ist geprägt von moralischer Erpressung und einer bedrohlich engen Meinungszone – sowohl im konservativen wie auch im linken Spektrum. Peer Asmussen bekennt offen: „Ich war am Anfang Teil des Problems.“ Nach dem 7. Oktober habe er kritiklos die Position der Netanjahu-Regierung übernommen, Proteste von Palästinenser:innen ignoriert – bis die Realität „nicht mehr zu meinem Narrativ passte.“
„Wenn Gewalt nicht hilft, verwende mehr Gewalt.“
Ein zentrales Zitat stammt vom israelischen Historiker Moshe Zimmermann, den Jason Liesendahl zitiert. Zimmermann beschreibt, wie sich innerhalb Israels seit den 70er Jahren eine politische Kultur der Gewalt durchgesetzt habe: „Feinden muss mit Gewalt begegnet werden. Der Weg der Verständigung ist dann etwas für die armen Juden in der Diaspora.“ Gewalt ist nicht nur Mittel zum Zweck – sie ist Teil nationaler Identität geworden.
Benni Isaak-Kraus ergänzt: Der Mythos ewiger Bedrohung führe zur Fixierung auf Sicherheit durch militärische Stärke. Wer Sicherheit anders denkt – etwa durch diplomatische Beziehungen – wird als naiv oder gefährlich gebrandmarkt. „Ich will den Leuten nicht ihre Gefühle ausreden“, sagt Isaak-Kraus, „aber Sicherheit auf Kosten anderer darf kein Ziel sein.“
„Was machst du, damit eine gemeinsame Zukunft möglich wird?“
Isaak-Kraus schlägt zwei ethische Testfragen vor, die als Kompass für jede Debatte dienen können:
- Was tust du, damit eine gemeinsame Zukunft möglich wird?
- Bist du für Gewaltfreiheit – nicht nur strategisch, sondern auch ideologisch?
Dass diese Fragen unbequem sind, liegt auf der Hand. Peer Asmussen ergänzt: Wer den Mythos der „erlösenden Gewalt“ verbreite, sei – egal auf welcher Seite – Teil des Problems. „Es gibt Leute, die sagen: Wenn wir nur den Feind vernichten, dann wird Frieden sein. Und das ist ein Mythos. Eine Lüge.“
Zwischen den Fronten: Jüdische Stimmen in Deutschland
Besonders intensiv wird es, wenn die Runde über progressive jüdische oder israelische Stimmen in Deutschland spricht – Stimmen, die oft unter Druck geraten. Isaak-Kraus erzählt von einem israelisch-palästinensischen Friedensprojekt, dessen Vortrag in Frankfurt erst gefeiert, dann gelöscht wurde – weil ein Israeli das Wort „Apartheid“ benutzte. „Wir haben am Anfang gesagt, wir wollen zuhören. Und am Ende haben wir sie doch zum Schweigen gebracht.“
Diese strukturelle Zensur trifft auch auf akademische und kirchliche Einrichtungen zu. Jason Liesendahl kritisiert die fehlende Gesprächskultur: „Ich vermisse einen Kompass. Ich sehe viele Leute, die entweder dämonisieren oder legitimieren – aber kaum jemand, der entmenschlichtem Denken widerspricht.“
„Wer Frieden will, muss Geschichten erzählen.“
Trotz aller Verzweiflung bleibt Hoffnung. Hoffnung, dass ein anderer Diskurs möglich ist. Dass Gewaltfreiheit wieder politisch denkbar wird. Und dass es Menschen gibt, die Geschichten erzählen, die das Gegenüber nicht entmenschlichen. „Ich glaube, wir müssen uns mit denen verbünden, die daran arbeiten“, sagt Liesendahl.
Friedensarbeit ist nicht naiv. Sie ist zäh. Und sie braucht klare Worte: über strukturelle Gewalt, über das Scheitern diplomatischer Prozesse, über die Rolle Deutschlands als Waffenlieferant. Vor allem aber braucht sie Menschen, die den Mut haben, differenziert zu sprechen. Und die wissen: Wer Frieden will, muss zuerst zuhören.
Empfohlene Ressourcen aus der Folge:
- Interview mit Moshe Zimmermann: „Die Villa im Dschungel“ (Die Zeit)
- Podcast: Der Rest ist Geschichte (Folgen zu Zionismus und Israel)
- Wort und Fleisch von Thorsten Dietz – zur Geschichte des christlichen Zionismus
- Combatants for Peace: www.combatantsforpeace.org