Eindrücke vom RefLab Festival
„Alles wird gut.“ – kaum eine Phrase klingt so beruhigend, kaum eine wird so häufig wiederholt. Auf dem RefLab Festival in Zürich stand sie jedoch am Anfang einer radikalen Infragestellung. Unter dem Titel Alles wird gut? Nein! diskutierten der Podcaster und Autor Jason Liesendahl und die Pfarrerin und Aktivistin Sarah Staub über Leid, Kontrollverlust und Hoffnung.
Der Satz, der nicht trägt
„Alles wird gut“ – für viele eine tröstliche Floskel. Für Liesendahl jedoch eine gefährliche Illusion. „Die Idee von der göttlichen Allmacht ist ein Griff ins Klo, theologischer Natur. Braucht man nicht, sollte man weggeben“, sagt er. Er beschreibt, wie das Bild eines kontrollierenden Gottes dazu führen kann, selbst den größten Schmerz zu verklären. „Das ist wie ein religiöses Stockholm-Syndrom.“
Sein Ansatz orientiert sich an der Prozesstheologie: Gott zwingt nicht, sondern wirkt durch Mitwirkung und Überzeugungskraft. Das bedeutet auch: Gott kann nicht alles.
Wenn die Zukunft offen bleibt
Von hier aus schlägt Liesendahl den Bogen zur Klimakrise. Bewegungen wie Fridays for Future hätten lange gehofft, durch Appelle an die Vernunft etwas bewegen zu können. Doch das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei bereits verfehlt. „Die Gesellschaft hat sich eigentlich gegen Klimaschutz entschlossen“, sagt er nüchtern.
Daraus entsteht eine neue Haltung, die er „Kollapspolitik“ nennt: Der Kollaps kommt, unausweichlich. Entscheidend sei nicht mehr die Frage, wie man ihn verhindert, sondern wie man inmitten des Zusammenbruchs handlungsfähig bleibt.
Der persönliche Kollaps
Für Sarah Staub ist das keine abstrakte Überlegung. Sie lebt mit einem schweren Gendefekt, Schmerzen und ständigem Kontrollverlust. Ihre Mitgliedschaft bei der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit beschreibt sie als einen Schritt, sich ein Stück Selbstbestimmung zurückzuholen: „Mich darauf zu verlassen, dass Gott es gut macht, aber offensichtlich ist nichts an meinem Leben gut … Dann gibt mir das zumindest eine gewisse Kontrolle zurück.“
Ihre Offenheit zeigt, dass es nicht nur um globale Krisen geht. Kollaps ist auch individuell erfahrbar – in Krankheit, Leid oder biografischen Brüchen.
Hoffnung ohne Verdrängung
Staub wehrt sich gegen den Reflex, schwierige Realitäten zu verdrängen. „Diese Welt ist einfach manchmal scheiße. Aber sie ist manchmal auch mega schön.“ Hoffnung könne nur tragfähig sein, wenn sie sich der Wirklichkeit stellt. Ihre methodistische Tradition betont Gemeinschaft und praktisches Handeln: „There is no gospel but social gospel. There is no holiness but social holiness.“
Liesendahl ergänzt mit einem Blick in die Bibel: Schon die frühen Christ:innen hätten erlebt, dass ihre Welt unterging – durch Kriege, Zerstörung, Unterdrückung. Christlicher Glaube sei nie für heile Welten gedacht gewesen, sondern für Zeiten des Umbruchs.
Was Kollapstheologie heißen könnte
Die Verbindung von linken Diskursen über Anpassung an drohende Kollapse und die Brücke zu persönlichen Kollapserfahrungen wurden aus dem Publikum durch einen Kommentar zusammengefasst: Kollapstheologie nannte es ein Zuhörender. Vielleicht ist es wirklich Zeit, die in progressiven Kreisen beliebte Ökotheologie anzupassen und die Kontexte von Systemkollapsen stärker zu berücksichtigen. Eine Kollapstheologie könnte drei Elemente verbinden:
- Realismus: Der Mut, Leid und Krisen ohne Vertröstung, Verlkärung oder Verdrängung anzusehen – ob in der persönlichen Biografie oder in der Klimapolitik.
- Offenheit: Das Eingeständnis, dass die Zukunft nicht feststeht, sondern radikal offen ist. Gott garantiert keinen „happy end“, sondern wirkt mit, wo Menschen handeln.
- Solidarität: Gemeinschaft, die trägt, wenn Systeme zerbrechen – inspiriert von biblischer Tradition und sozialem Engagement.
Eine solche Theologie verspricht keinen Ausweg aus allen Krisen, aber sie könnte helfen, mit ihnen zu leben und innerhalb von drohenden Verteilungskämpfen die Menschenwürde derer hochhalten, die marginalisiert werden.
Ein Abend voller Zumutungen
Im Saal war es spürbar: Die Stimmung schwankte zwischen Beklommenheit und Erleichterung. Beklommenheit, weil hier offen ausgesprochen wurde, was viele lieber verdrängen. Erleichterung, weil sich darin eine neue Ehrlichkeit zeigte.
Ob man es Kollapstheologie nennt oder nicht – das Gespräch von Liesendahl und Staub lässt etwas Neues anklingen: Eine Theologie, die keine Illusionen mehr pflegt, aber trotzdem nach Hoffnung sucht.